Maigret - 56 - Maigret und die alten Leute by Simenon Georges

Maigret - 56 - Maigret und die alten Leute by Simenon Georges

Autor:Simenon, Georges [Georges, Simenon]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-12-24T05:00:00+00:00


5

Maigret rechnete nicht damit, in ein Haus zu kommen, in dem Beerdigungsstimmung herrschte, wie das bei kleinen Leuten und auch manchen gutbürgerlichen Familien so üblich ist. Da riecht es dann nach Kerzen und Chrysanthemen, die Witwe hat rotgeweinte Augen, von weither angereiste Verwandtschaft in tiefer Trauer ißt und trinkt. Da Maigret seine Kindheit auf dem Lande verbracht hatte, verband sich für ihn der Geruch von Alkohol, besonders von Branntwein, immer mit dem Tod und mit Beerdigungen.

›Trink das, Catherine‹, redet man der Witwe zu, bevor man in die Kirche oder auf den Friedhof geht. ›Du mußt dich stärken!‹

Schluchzend trinkt sie. Die Männer trinken im Gasthof, dann nach der Rückkehr wieder im Haus.

Wenn das Portal mit Trauerschleifen geschmückt gewesen war, so hatte man sie schon längst wieder abgenommen, und der Schloßhof, der halb im Schatten, halb in der Sonne lag, bot seinen gewohnten Anblick. Ein uniformierter Chauffeur wusch einen großen schwarzen Wagen, und drei weitere Autos, darunter ein gelber Sportwagen, standen am Fuße des Treppenaufgangs.

Das Palais war so groß wie das Elysée, und Maigret erinnerte sich, daß im Haus der V’s oft Bälle und Wohltätigkeitsbasare gegeben wurden.

Oben an der Treppe stieß er eine Glastür auf und befand sich dann allein in einer marmornen Halle. Geöffnete Flügeltüren zu seiner Linken und zu seiner Rechten erlaubten ihm einen Blick in prunkvolle Salons, in denen verschiedene Gegenstände, wahrscheinlich die antiken Münzen und Tabakdosen, von denen man ihm erzählt hatte, wie in einem Museum ausgestellt waren.

Sollte er durch eine dieser Türen gehen oder eine der Treppen hinaufsteigen, die an beiden Seiten in den ersten Stock führten? Er zögerte noch, als ein wie aus dem Nichts auftauchender Diener stumm auf ihn zutrat, ihm den Hut abnahm und, ohne ihn nach seinem Namen zu fragen, murmelte:

»Hier entlang.«

Maigret folgte seinem Führer die Treppe hinauf in den ersten Stock, durchquerte dort einen weiteren Salon, dann einen langgezogenen Raum, der anscheinend als Bildergalerie diente.

Man ließ ihn nicht warten. Der Hausdiener öffnete eine Tür und meldete mit gedämpfter Stimme:

»Kommissar Maigret.«

Das Boudoir, in das er kam, ging nicht auf den Schloßhof, sondern auf einen Garten hinaus, dessen Bäume, in denen es von Vögeln wimmelte, bis an die beiden geöffneten Fenster reichten.

Jemand erhob sich aus einem Sessel, und er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, daß dies die Frau war, der sein Besuch galt, Prinzessin Isabelle. Seine Verwunderung mußte deutlich sichtbar gewesen sein, denn sie sagte, als sie auf ihn zutrat:

»Sie erwarteten, mich in einem anderen Zustand anzutreffen, nicht wahr?«

Er wagte ihre Frage nicht zu bejahen und schwieg überrascht. Trotz der schwarzen Kleidung wirkte sie nicht wie in tiefer Trauer, doch er hätte nur schwer sagen können, warum. Sie hatte auch keine rotgeweinten Augen und wirkte keineswegs niedergedrückt.

Sie war kleiner als auf den Fotografien, aber im Gegensatz zu Jaquette zum Beispiel war sie nicht vom Alter gebeugt. Doch er hatte keine Zeit, seine Eindrücke zu analysieren. Das würde er später tun. Im Augenblick nahm er ganz mechanisch alles in sich auf.

Was ihn am meisten überraschte, war die Tatsache, eine rundliche Frau vorzufinden, mit vollen, glatten Wangen und einem molligen Körper.



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